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Tramkolumnen

Fünf Jahre lang bin ich in Zürich Tram gefahren. Als «Stadtfahrer» habe ich in dieser Zeit in «20 Minuten» über meine Beobachtungen aus der Führerkabine geschrieben. Hier eine kleine Auswahl der Texte. Die besten Kolumnen sind versammelt in «Im Tram – Anleitung zum Vorwärtskommen», Limmat Verlag.

HELLO AGAIN

Tramführern werden besondere Wesenszüge nachgesagt. Besonders eigenartig, das sagen zumindest meine Freunde, ist der Gruss unter Tramführern. Egal wo auf Zürichs Gleisen sich zwei Trams kreuzen, man kann sicher sein, die beiden Lenker heben gewissenhaft die Hand zum Gruss, winken sich innig zu. Ganz so als hätten sie sich seit Wochen nicht mehr gesehen. Dabei begegnen sie sich während des Dienstes zwei- bis dreimal, pro Stunde.   Auch ich habe lange zu jenen gehört, die über diese Gebärdensprache geschmunzelt haben. Bis ich Tramführer geworden bin. Nun sind mir die Grussregeln geläufig. Und muss ich gestehen: Wann immer sich mir eine Kollegin oder ein Kollege im Tram oder im Bus nähert, ich grüsse pflichtbewusst.
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IRRFAHRTEN UND ANDERE AFFÄREN

Überall stolpert man über Metaphern aus der Welt der Schienen. Menschen hoffen auf die richtige Bahn einzuschwenken. Sie wollen die Weichen rechtzeitig stellen oder wenigstens auf Kurs bleiben. Als würde einem nicht schon der Alltag schwerwiegende Entscheidungen abverlangen. Jeans oder Manchesterhose?, muss ich mich beim Aufstehen fragen (wenn nicht die blaue Uniform bereitsteht). Und gerate ich im Coop unversehens vor das Konfitüren-Regal, habe ich aus 56 verschiedenen Sorten die Wahl, davon allein sechsmal Bitterorangen. Wie soll ich da wissen, was gut für mich ist?
Zum Glück gibt es das Tram. Da sind die Wege vorgegeben, die Schienen verlegt, der Verlauf der Tramlinien festgelegt. Was mir das Leben einfacher macht. Und gleichzeitig vermag ich, was Fragen der Entscheidungsfindung angeht, so etwas wie Routine zu entwickeln. Denn Entscheide zu fällen, das heisst die Weichen richtig zu stellen, ist in unserem Beruf zentral.
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LIEBE AARGAUER

Wer an dieser Stelle einen Witz über das Verkehrsverhalten der Aargauer oder sonst etwas Herabsetzendes über die Nachbarn aus Zürich West erwartet, den muss ich enttäuschen. Wenn ich mich hier an die Pendler und Zugezogenen wende, dann mehr im Sinne einer Ehrenrettung. Denn, soviel gleich vorweg, nicht nur die Automobilisten aus dem Aargau verlangen Tram- und Busführern einiges an Konzentration ab. Auch Taxifahrer, Velokuriere, Lehrfahrer (und Fahrlehrer in der Freizeit) und auch zur Ruhelosigkeit neigende Fussgänger halten unsereins bei Laune. Egal ob sie aus Zürich oder anderswoher kommen.
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DIE VERWANDLUNG

Liegt es am Älterwerden? Oder daran, dass die Tage kürzer werden? Ich weiss es nicht, aber zurzeit geht mir eine Frage nicht mehr aus dem Kopf: Verändert mich das Tramfahren? Macht mich das Fahren auf Zürichs Geleisen zu einem anderen Menschen? Ja, sagt meine Frau. Strukturierter sei mein Leben geworden, findet sie. Selbst wenn ich ausschlafen könnte, stelle ich stets den Wecker, fällt ihr auf. Ganz zu schweigen von der Pünktlichkeit, die ich ihr tagsüber abverlange. Seit etwas mehr als drei Jahren fahre ich nun Tram, da bemerke ich solche Dinge nicht mehr. Aber meine Frau wird schon recht haben. Immerhin, möchte ich relativieren, bin ich noch nicht dazu übergegangen, mich auf 17 Uhr 51 mir ihr zu verabreden oder auf 19 Uhr 23, also minutengenau wie meine Tramdienste.
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EIN TAG IM LEBEN

Das Magazin, November 2003
Thomas Schenk, 37, war früher Journalist. Heute fährt er Tram. Und jetzt versteht er auch, warum der Chauffeur den Passagieren manchmal vor der Nase wegfährt.
Am liebsten hab ich Frühdienst. Wecker abstellen, ein Glas Wasser trinken, Zähne putzen, Uniform anziehen und ab aufs Velo. Wenn ich Glück habe, begegnet mir auf dem Weg zum Depot Kalkbreite ein Fuchs, der gerade von Zürichs Hausmüll verwertet. Auf mein Velo kann ich bei meiner Arbeit nicht verzichten, denn morgens um halb fünf fahren ja noch keine Trams. Allerdings steige ich auch tagsüber, muss ich gestehen, nur selten in eine Strassenbahn. Das geht mir, im Vergleich mit dem Zweirad, einfach zu wenig schnell. Ausser wenn ich selbst fahre, denn ich bin Tramchauffeur bei der VBZ. Und natürlich angewiesen auf möglichst viele Menschen, die sich lieber chauffieren lassen.

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