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Liebe Aargauer

Als «Stadtfahrer» in «20 Minuten»

Wer an dieser Stelle einen Witz über das Verkehrsverhalten der Aargauer oder sonst etwas Herabsetzendes über die Nachbarn aus Zürich West erwartet, den muss ich enttäuschen. Wenn ich mich hier an die Pendler und Zugezogenen wende, dann mehr im Sinne einer Ehrenrettung. Denn, soviel gleich vorweg, nicht nur die Automobilisten aus dem Aargau verlangen Tram- und Busführern einiges an Konzentration ab. Auch Taxifahrer, Velokuriere, Lehrfahrer (und Fahrlehrer in der Freizeit) und auch zur Ruhelosigkeit neigende Fussgänger halten unsereins bei Laune. Egal ob sie aus Zürich oder anderswoher kommen.
Wie langweilig und einförmig wäre der Stadtverkehr (und das Leben im allgemeinen), wenn sich alle stur an die einmal aufgestellten Regeln halten würden. Man darf es schon fast als Glück bezeichnen, dass Zürich von vielen Menschen bevölkert ist, die es mit den Verkehrsregeln nicht allzu pedantisch nehmen. Dies, weil sie es entweder besonders eilig haben oder sie nicht mit dem Tramverkehr sozialisiert worden sind, oder beides zusammen. (Für eine vollständige Angewöhnung an Schienenfahrzeuge, liebe Aargauer, scheint Eure Wynental- und Suhrental-Bahn nicht auszureichen).
All diese Menschen sorgen dafür, dass in unserem Beruf so etwas wie Monotonie nicht aufkommt, wir stets wach und aufmerksam sind. So bleibt die Fahrt über Zürichs Schienen spektakulär (und ich habe immer wieder etwas zu erzählen, wenn ich nach Hause komme). Zum Beispiel von einer Vollbremsung am Gloriadreieck – wie berechenbar wäre meine Arbeit, wenn zwischen Universitätsspital, Kantonsschule und Platte alle Autofahrer diszipliniert und frühzeitig vor jedem nahenden Tram anhalten würden. Wie eintönig, wenn niemand im dichtem Abendverkehr über das nicht mehr ganz grüne Lichtsignal bei der Sihlpost rollen würde, um dann mitten auf der Kreuzung der Gessnerbrücke auf den Tramschienen von einer Kolonne zum Stillstand gezwungen zu werden. Ganz zu schweigen von jenen Zeitgenossen, die auf die Tramgeleise oder Busspur geraten, weil sie einen Velofahrer überholen oder einfach etwas mehr Platz für ihren Geländewagen brauchen.
Bleiben noch die Mobility-Fahrer. Sie sind besonders anregend, weil überraschend. Wer will es ihnen verübeln, wenn einige von ihnen einen eher lockeren Umgang mit den Verkehrsregeln pflegen. Wer sich nur ein-, zweimal im Jahr ans Steuer wagt, wird genügend mit der automobilen Technik beschäftigt sein. Diese Leihwagenfahrer wirken mindestens so aufpeitschend wie Red Bull oder Gurana-Kapseln. Seit die Mobility-Fahrzeuge nicht mehr alle rot und als Opel Kombi unterwegs sind, gilt es noch wachsamer zu sein. Mit etwas Glück stösst man dabei auf eine besonders belebende Kombination: auf Mobility-Fahrzeuge, deren Heck eine Blaue Tafel mit weissem „L“ ziert. Diese Mischung aus Gelegenheits- und Lehrfahrer verlangt grössten Respekt. Und auch einen ausreichenden Sicherheitsabstand, so dass es einem dann kaum möglich ist, auch noch das Kantonswappen auf dem Nummernschild zu erkennen.